Wir begleiten den Service-Techniker Björn S. auf dem Weg zu einem Industriekunden mit einer defekten Produktionsanlage. Die Kontaktdaten wie Ansprechpartner und Anschrift erhält er telefonisch von seiner Zentrale. Händisch gibt er die Adresse in sein Navigationsgerät ein und fährt zum Kunden.
Vor Ort angekommen verkabelt er sein Smartphone mit der Sensor-Einheit der defekten Maschine und liest die benötigten Messwerte aus. Den Fehler kann er nicht direkt beheben und beginnt, auf dem kleinen Bildschirm des Telefons einen Fehlerbericht zu verfassen. Der Bericht wird umfangreicher und so will Björn S. auf das Laptop mit der großen Tastatur wechseln. Weil er den Auftrag nicht in unvollständigem Zustand absenden möchte, versendet er den angefangenen Text per E-Mail an sich selbst. Am Laptop übertragt er den Text aus der E-Mail in das Meldungsprogramm und schreibt den Bericht fertig. Er bemerkt: “Ein Foto von dem Schaden wäre für die Zentrale hilfreich”. Björn S. greift sein Smartphone und nimmt ein Foto auf. Wie sendet er dieses in den fast fertigen Bericht am Laptop? Per Bluetooth, als E-Mail-Anlage, per Online-Speicher? Björn S. kennt viele Alternativen, entscheidet sich aber erneut für eine E-Mail an sich selbst. Am Laptop fügt er das Foto ein und sendet den Auftrag ab. Diese Schadensmeldung ist behoben. Mal sehen, welchen Auftrag die Zentrale jetzt für ihn bereitstellt. Er tippt die Adresse für sein nächstes Ziel in das Navigationsgerät …
Service-Techniker Björn S. benutzt die verschiedenen Endgeräte so, wie sie seine Arbeit aktuell unterstützen. Er merkt, dass er beim Wechsel irgendwie ausgebremst wird. So kann er nur bedingt effizient arbeiten, aber kennt für fast alles einen Workaround.
Doch könnte er auch nahtloser und intuitiver arbeiten?
Das Wunschszenario
Wir erweitern den Einsatz von Service Techniker Björn S. ein wenig.
Auf dem Smartphone sieht er im Firmenportal seine nächsten Einsätze gelistet. Mit einem Klick wählt er einen Einsatz aus und die Navigationssoftware beginnt mit der Routenberechnung. Beim Kunden angekommen scannt er mit seinem Smartphone die Kennung der Maschine, verbindet sich drahtlos mit dieser und liest ihre Daten aus. Wieder beginnt er den Bericht auf dem Smartphone zu tippen und merkt, dass der lange Text am Laptop leichter zu tippen währe. Er klappt den Laptop auf und das Meldungsprogramm zeigt ihm den aktuellen, halbausgefüllten Stand vom Smartphone an. Er kann direkt weiterarbeiten. Nun möchte er ein Foto ergänzen und greift wieder zum Smartphone. Das Bild erscheint unmittelbar nach dem Fotografieren in dem Bericht am Laptop. Björn S. hat den Schaden aufgenommen und konnte den Bericht schneller und nahtloser verfassen als bisher. Da bleibt ihm noch Zeit für eine Tasse Kaffee, bevor er den nächsten Einsatz auswählt.
Das Szenario mit geräteübergreifendem Workflow lässt sich natürlich von Wartungsberichten leicht auf andere Geschäftsprozesse übertragen, auf Reparaturunterstützung, Angebotserstellung, Kundenbesuche und so weiter.
Im Kontext von Industrie 4.0, als Teil von Internet of Things, ist es sinnvoll und wirtschaftlich, die vielen verschiedenen Geräte, die Sie in Ihren Geschäftsprozessen verwenden, so einzusetzen, dass jedes mit seinen Eigenschaften und Fähigkeiten ideal dazu beiträgt. Das Smartphone kann telefonieren, ist klein und handlich. E-Mails, Termine, Kontakte und wichtige Geschäftsunterlagen sind immer greifbar. Per Bluetooth und NFC lassen sich beispielsweise Sensor-Systeme von Maschinen und Fahrzeugen auslesen, die bei Wartungsarbeiten wichtig sind. Das Tablet eignet sich für die Präsentation im Kundengespräch und der Laptop spielt mit dem großen Bildschirm und der Tastatur seine Stärken bei umfangreichen Arbeiten aus.
Herausforderungen von User Experience bei geräteübergreifenden Workflows
Das einleitende Beispiel verdeutlicht, dass es für eine angenehme User Experience nicht mehr ausreicht, die Geräte einzeln zu betrachten. Die Interaktion über mehrere Geräte hinweg sollte harte Brüche im Worflow sowie zwangsweise Workarounds vermeiden und den Benutzer zielgerichtet unterstützen. Im Anwendungsbereich von Webseiten und Smartphone/Tablet-Apps gibt es das Vorgehen nach dem Mobile-First-Ansatz. Hier wird die Implementierung für die kleinste und leistungsschwächste Geräteklasse begonnen und die Kernfunktionalitäten umgesetzt. Größere und leistungsstärkere Geräte können optional weitere Funktionalitäten bereitstellen, siehe [13]. Das Vorgehen lässt sich noch ergänzen um den Content-First- Ansatz, bei dem der Fokus auf den Inhalten und den elementaren Interaktionsblöcken liegt [14]. Daraus resultiert technisch ein Responsive Design und kann als Multi-Channel System betrachtet werden, bei dem gleiche oder ähnliche Inhalte auf Geräten mit ähnlichen Ausstattungen angezeigt und bearbeitet werden können.
Für Internet of Things funktioniert dieses Vorgehen nicht mehr. Hier variieren nicht nur die Leistung und Bildschirmgrößen, sondern es existieren Geräte mit sehr verschiedenen Interfaces, teilweise ohne Bildschirm und mit nur minimalen Bedienoptionen.
Etabliertes Interaktionsdesign
Für die „klassische“ Software-Ergonomie, bei der ein Benutzer eine Anwendung mit nur einem Endgerät bedient, gibt es viele wissenschaftlich sowie praktisch etablierte Methoden für Analyse, Design, Implementierung und Evaluation, siehe [2], [3], [4], [5] und [6]. Diese Methoden für das Design werden im Folgenden kurz zusammengetragen. Für detailliertere Ausführungen wird gegebenenfalls auf die Anlagen oder Quellen verwiesen.
Kriterien für Benutzerschnittstellen
Ein Teil, der für eine Benutzerschnittstelle wichtigen Aspekte, wird in [5, S. 157ff] mit dem IFIP-Model3 (International Federation for Information Processing) beschrieben. Dabei werden
- Ein- / Ausgabekriterien (z.B. Wahrnehmbarkeit, Lesbarkeit, Unterscheidbarkeit)
- Dialogkriterien (z.B. Aufgabenangemessenheit, Steuerbarkeit, Fehlerrobustheit), Diese sind in die ISO-9241-110 [10] eingeflossen.
- Werkzeugkriterien (z.B. Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Kombinierbarkeit)
unterschieden.
Acht goldene Regeln beim Interface Design
Als kurze Zusammenfassung bezüglich Oberflächen- und Interaktionsdesign seien die acht goldenen Regeln beim Interface Design aus [2, S. 74] genannt. Deren Autoren weisen darauf hin, dass diese „grundlegenden Prinzipien je nach Umgebung interpretiert, verfeinert oder erweitert werden“ müssen.
- Strebe nach Konsistenz
- Sorge für eine universelle Usability
- Biete informierendes Feedback
- Bestätige zum Schluss den Erfolg/Fehler
- Verhindere Fehler
- Rückgängige Aktionen
- Vermittle ein Kontrollgefühl
- Reduziere die Belastung des Kurzzeitgedächtnisses
Erweiterung der Methoden für Internet of Things
Die bekannten Vorgehen im Interface und Interaktionsdesign bleiben grundlegend anwendbar. Nur der Blickwinkel wird erweitert, um vernetzte Geräte. Daraus resultieren neue Aspekte, die in den nachfolgenden Abschnitten betrachtet werden:
- Komposition: Wie sind Geräte und Funktionalität organisiert
- Konsistenz: Konsistenz der Schnittstellen über verschiedene Geräte hinweg
- Kontinuität: Synchrone Inhalte und Daten erlauben einen fließenden Plattformwechsel
Komposition von Geräten und Funktionalitäten
Für eine gute Kombination werden die Funktionalitäten so verteilt, dass jedes Gerät entsprechend seiner Fähigkeiten sinnvoll berücksichtigt wird. Es gilt zu unterscheiden zwischen Multi-Channel-Systemen (gleiche oder ähnliche Inhalte und Funktionalitäten an verschiedene Geräte ausliefern) und Cross-Platform-Systemen (Kombination von Geräten mit unterschiedlichen Eigenschaften bezüglich Interaktionen, Vernetzung, Informationssammlung, Verarbeitung und Anzeige). [7, S. 350ff]
Konsistenz über Geräte hinweg
Für die Konsistenz über Gerätegrenzen hinweg werden von Rowland et. al. fünf Richtlinien genannt [7, S. 360ff] :
- Einheitliche Benennungen verwenden
- Beachte die Konventionen der Platformen
- Einheitliche Ästhetik
- Interaktionsarchitektur
- Bedenke die wahrscheinlichsten Gerätekombinationen
Kontinuität der Inhalte
Die Kontinuität beim Cross-Platform Interaktionsdesign bezieht sich auf den Fluss von Daten und Interaktionen in einem nachvollziehbaren Ablauf über mehrere Geräte hinweg [7, S. 368ff]. Dafür müssen Inhalte und Daten synchronisiert werden. Durch Stromsparmechanismen und Netzwerkverzögerungen kann es temporär zu widersprüchlichen Zuständen zwischen der Aktion und der realen Welt kommen.
Wenn der Benutzer bei einer Tätigkeit das Gerät wechseln muss, sollten mehrere Hinweise erfolgen:
1. Das er das Gerät wechseln muss
2. Was er auf dem anderen Gerät zu tun hat
3. Warum der Wechsel notwendig ist
Fazit
Die Bitkom sieht fünf Anwendungsszenarien für Industrie 4.0 [12]:
- Social Machines: die Maschinen verhalten sich wie in sozialen Netzwerken und teilen Verfügbarkeit und Wartungsanfragen mit
- Global Factories: Vernetzung von Produktionssystemen über Unternehmensgrenzen hinweg
- Augmented Operators: Mitarbeiter, die IT-basierte Assistenzsysteme nutzen, um ihre Sicht auf die Fabrik zu erweitern und so die Produktion besser zu steuern
- Smart Products: intelligente, programmierbare Gegenstände, die zum Beispiel mit den Anlagen kommunizieren und diesen mitteilen, wie sie bearbeitet werden müssen
- Predictive Maintenance: vorausschauende Wartung, um Reparaturen einzuleiten bevor ernsthaftere Schäden auftreten und Stillstandszeiten zu verringern
In vielen dieser Anwendungsszenarien lässt sich das eingangs erkläuterte Beispiel auf dortige Geschäftsprozesse übertragen. Bei den geräteübergreifenden Workflows entstehen neue Herausforderungen an die User Experience.
Blicken wir auf die Interaktionsdesign-Methoden für Internet of Things-Systeme, so haben viele etablierte weiterhin Bestand. Einige müssen angepasst werden. Umfangreicher sind die Veränderungen bei den Cross-Platform-Systemen, also bei Systemen mit mehreren Geräten, welche teilweise verschiedene Funktionalitäten bereitstellen und sich gegenseitig ergänzen. Für die Komposition von Gerätesystemen gilt abzuwägen, zwischen Multi-Channel- und Cross-Platform-Systemen. Ein weiterer Fokus liegt auf der geräteübergreifenden Konsistenz von Daten, Benennungen, Oberflächen und Arbeitsabläufen. Außerdem ist die Kontinuität von Daten und Inhalten bei dem Wechsel zwischen Geräten wichtig.
Werden diese Aspekte bei der Konzeption berücksichtigt, wird die Interaktion zwischen den verschiedenen Geräten, die sich teils in den Funktionalitäten ergänzen, nahtloser und fließender. Ihre Mitarbeiter, Kollegen und Sie können nun geräteübergreifende Geschäftsprozesse angenehmer und effizienter bearbeiten.
Neugierig geworden?
Lesen Sie in dem Paper Interaktionsgestaltung im Internet of Things (UX, IxD, IoT) (Daniel Suess).pdf nach oder Fragen Sie uns direkt: ux@akquinet.de
Weiterführende Quellen
- [1] Timm Lutter, Angelika Pentsi, Michael Poguntke, Klaus Böhm, and Ralf Esser. Zukunft der Consumer Electronics 2015 -Marktentwicklung, Schlüsseltrends, Mediennutzung Konsumentenverhalten, Neue Technologien. Bitkom e.V., Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., 09 2015.
- [2] Ben Shneiderman and Catherine Plaisant. Designing the User Interface: Strategies for Effective Human-Computer Interaction (4th Edition). Addison Wesley, 2004.
- [3] Michael Herczeg. Interaktionsdesign: Gestaltung interaktiver und multimedialer Systeme. Oldenbourg Verlag, 2006.
- [4] Chris Crawford. The Art of Interactive Design: A Euphonious and Illuminating Guide to Building Successful Software. No Starch Press San Francisco, CA, 2002.
- [5] Michael Herczeg. Software-Ergonomie: Theorien, Modelle und Kriterien für gebrauchstaugliche interaktive Computersysteme. Oldenbourg Verlag, 2009.
- [6] Florian Sarodnick and Henning Brau. Methoden der Usability Evaluation: Wissenschaftliche Grundlagen und praktische Anwendung, volume 2., überarb. und aktualisierte Aufl. Huber, 2011.
- [7] C. Rowland, E. Goodman, M. Charlier, A. Light, and A. Lui. Designing Connected Products: UX for the Consumer Internet of Things. O’Reilly Media, 2015.
- [8] International Organization for Standardization ISO. EN ISO 9241 – 210 Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme. 2010.
- [9] Marc Hassenzahl and Virpi Roto – Being and Doing – a perspective on user experience and its measurement. 2007.
- [10] International Organization for Standardization ISO. EN ISO 9241 – 110 Grundsätze der Dialoggestaltung. 2009.
- [11] Eckart Uhlmann. Editorial, volume 1/2014. Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK, 2014.
- [12] Telekommunikation und neue Medien e. V. Bitkom e.V., Bundesverband Informationswirtschaft. Anwendungsszenarien für industrie 4.0, 06 2016.
- [13] Luke Wroblewski. Mobile First. Number ISBN 978-1-937557-02-7 (print), 978-1- 937557-03-4 (eBook). A Book Apart, NY, 10 2011.
- [14] Karen McGrane. Content Strategy For Mobile. Number ISBN 978-1-937557-0-89. A Book Apart, NY, 2012.
- [15] D.A. Norman. The Design of Everyday Things: Revised and Expanded Edition. Basic Books, 2013
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